17/02/2023
Der Quay Quarter Tower in Sidney setzt neue Massstäbe in der Gebäudeerneuerung. Durch “Upcycling” wurde der 1976 erbaute Wolkenkratzer komplett erneuert und erhielt eine doppelt so grosse Nutzfläche. Die Kombination von Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit ist nicht nur für Nutzer und Eigentümer ein Gewinn, sondern auch für Gesellschaft und Umwelt. Architekt Aleksander Kongshaug vom Büro 3XN erklärt im Interview das Konzept und die Bedeutung des Leuchtturmprojekts.
Mit seiner besonderen Form und dem futuristischen Design setzt der Quay Quarter Tower (QQT) heute in Sydneys belebtem Circular-Quay-Viertel ein architektonisches Ausrufezeichen. Von aussen erinnert nichts an den früheren AMP-Wolkenkratzer, der 1976 an dieser Stelle erbaut wurde. Und doch hat der aktuelle QQT dem ursprünglichen Bauwerk viel zu verdanken: Rund 95 Prozent des Gebäudekerns wurden bei diesem gigantischen Upcycling-Projekt erhalten. Durch die Sanierung und den Erhalt von über 20'000 Kubikmetern vorhandenen Betons konnte die Umwelt massiv geschont werden. Sika trug mit ihren Lösungen dazu bei, dass das Leuchtturmprojekt möglich wurde und die Lebensdauer des Gebäudes um weitere 100 Jahre verlängert werden konnte.
Viele Menschen recyceln ihren Abfall. Aber einen Wolkenkratzer? Ist der neue Quay Quarter Tower (QQT) in Sydney das grösste Recycling-Projekt in der Geschichte der Menschheit?
Das weiss ich nicht, aber im Bereich der Architektur ist er definitiv ein gigantisches Projekt. Der QQT hat neue Massstäbe gesetzt: für die Architektur, unsere Sicht auf die bebaute Umgebung und das, was machbar ist, um die Lebensdauer vorhandener Gebäude zu verlängern. Bei 90 Prozent der Projekte, die Architekten in Angriff nehmen, gibt es bereits bestimmte Vorgaben. Die Reaktionen, die der QQT in den letzten sechs Monaten erhalten hat, zeigen, dass unser Ansatz nicht nur bei Architekten Anklang findet, sondern auch ganz allgemein nachgefragt wird.
Wir müssen uns viel stärker für unser Umfeld interessieren. Es gibt ganz sicher wirtschaftliche Gründe für dieses Konzept, aber auch gesellschaftliche. Das bedeutet, dass man als verantwortungsbewusster Bauherr einen Beitrag zum Leben in der Stadt leisten sollte. Im Rahmen der adaptiven Erneuerung des QQT wurde dessen Nutzfläche verdoppelt. Das ist fantastisch, aber die Verantwortung für die Stadt geht noch weiter. Sie bedeutet, die Bauzeit auf ein Minimum zu begrenzen sowie Schmutz und Lärm durch Fahrzeuge auf der Baustelle zu verringern.
Die Leserinnen und Leser des Magazins werden auf den Bildern sehen, wie cool das Gebäude ist. Es ist sogar noch cooler, wenn man seine Entstehungsgeschichte kennt. Können Sie das kurz erklären?
Wir haben einen 1976 erbauten Wolkenkratzer in Sydney adaptiv erneuert. Viele alte Wolkenkratzer wie der QQT haben eine Grundplatte, die höchstens 1’000 bis 1’500 Quadratmeter misst. Heutige Pächter wünschen aber mindestens 2’000 Quadratmeter.
Dass der QQT seinen Zweck nicht mehr erfüllte, bedeutete aber nicht, dass man nicht grosse Teile seiner Bausubstanz wiederverwenden konnte. Wir haben insgesamt zwei Drittel des bestehenden Gebäudes sowie zwei Drittel der Stützen und Trägerplatten wiederverwendet. Den Gebäudekern haben wir zu 95 Prozent erhalten, was uns ermöglichte, die Nutzfläche zu vergrössern. Trotz der Verdoppelung dieser Fläche verschattet der neue QQT die Umgebung nicht mehr als der alte Turm.
War es schwierig, den Kunden von dieser ungewöhnlichen Idee zu überzeugen? Warum hat er zugestimmt?
Überzeugt hat ihn, dass wir die Nutzfläche verdoppeln und die Räume gleichzeitig heller gestalten konnten.
Wir können viel über Kreisläufe, Wiederverwendung, Upcycling und so weiter reden, aber wir werden keinen Bauträger zu einem solchen Recycling bewegen, wenn nicht auch starke wirtschaftliche Argumente dafür sprechen. Da wir so viel altes Baumaterial wiederverwenden konnten, war unser Entwurf des neuen QQT für den Kunden kostengünstig. So blieb mehr Geld, um das Gebäude attraktiver zu machen – etwa durch grosse Atrien, die Mieter generell attraktiv finden und die ein Gefühl von nachbarschaftlicher Nähe vermitteln. Durch unseren Ansatz verkürzte sich die Zeit für den Abbruch und Neubau um neun Monate, was sich günstig auf die Arbeitskosten sowie den Baulärm und -schmutz auswirkte. Allein dadurch wurden bereits rund 84.7 Millionen eingespart.
Ein weiteres Motiv, neben den finanziellen Überlegungen, war “Good Citizenship”: Jeder Bauträger hat auch Verantwortung für die Stadt, in der er baut. Er muss sich als verantwortungsvoller Bürger zeigen, der einen positiven Beitrag zum Leben in der Stadt leistet.
Stellte das Projekt besondere Anforderungen an Sie? Oder an die Baufirmen?
Die grösste Herausforderung lag in der Bauplanungsphase. Einen Gebäudekern beizubehalten, ist nicht einfach, und in gewisser Weise haben wir das auch erst «on the job» gelernt. Wir wollten den vorhandenen Beton mit einer neu eingefügten Stahlkonstruktion soweit verstärken, dass sich die Tragfähigkeit der alten Grundplatte verdoppelte. Da das Gebäude von Menschen genutzt wird, mussten wir die städtischen Behörden davon überzeugen, dass es funktional und sicher ist. Die Ingenieure mussten sicher sein, dass der fünfzig Jahre alte, wiederverwendete und verstärkte Beton weitere hundert oder hundertfünfzig Jahre halten würde.
Gibt es viel Potenzial für die adaptive Wiederverwendung als Alternative zu Abbruch und Neubau? Wie hoch schätzen Sie weltweit die Zahl der Fälle, in denen ein solches Upcycling möglich ist? Welche Gebäudetypen würden sich dafür eignen?
Genau kann ich das Potenzial nicht beziffern, aber es ist in jedem Fall vorhanden. Wir müssen mit dem Bevölkerungswachstum Schritt halten, daher ist der Bedarf für adaptive Erneuerungen hoch. Beispielsweise in einer Stadt wie London: Dort haben viele Gebäude zwar noch eine lange Lebensdauer, erfüllen aber nicht mehr die Anforderungen des Marktes. Daher wollen die Bauträger sie abreissen und neue Gebäude errichten. Das Gleiche passiert in New York: Es gibt dort Gebäude, deren Abbruch und Neubau Jahre dauern würde, was für die Stadt und ihre Bewohner jahrelanges Chaos und viel Schmutz bedeutet.
"Wir müssen uns langsam die Frage stellen, wo wir nicht nur Kohlendioxid, sondern auch Zeit, Geld und Material einsparen können. Es gibt enorm viele Bürogebäude aus den 1960er-, 70er-, 80er- und 90er-Jahren, um die sich niemand wirklich kümmert. Durch Upcycling können wir ihren Wert erhalten." Aleksander Kongshaug, 3XN/GXN Architects in Kopenhagen
Können Sie uns mehr darüber erzählen, inwiefern die Bauweise des QQT Vorteile für die Umwelt hat?
Durch die Erneuerung des QQT haben wir 12’000 Tonnen CO2 eingespart; das allein ist schon ein massiver Treiber. Lebenszyklusanalysen und die Bestimmung des CO2-Fussabdrucks finden oft erst im Anschluss an die Planung statt. Da wir es hier aber mit Einschränkungen eines vorhandenen Gebäudes zu tun hatten, sind wir iterativ vorgegangen: Wir haben während des Prozesses den Kohlendioxid-Fussabdruck für jede einzelne Gebäudeschicht ermittelt und konnten so zu jedem Zeitpunkt die richtigen Entscheidungen treffen.
Welche Rolle spielten die Produkte und das Know-how von Sika für die Konstruktion und den Bau des neuen Turms?
Ohne die Produkte und das Fachwissen von Sika hätten wir die 23’000 Kubikmeter Beton, also im Prinzip den gesamten Kern des Gebäudes, nicht wiederverwenden können.
Ohne dieses Know-how hätten wir den vorhandenen Beton nicht so verstärken können, dass die Konstruktion noch mehr als 100 Jahre hält.
Die Architektur des QQT ist vielfach ausgezeichnet worden. Hat sie auch das Interesse möglicher Kunden geweckt, die nach neuen Konzepten für Bau- oder Umbauprojekte suchen? Können Sie uns etwas über weitere Projekte verraten, die Sie schon in der Pipeline haben?
Ich kann zwar keine Namen nennen, aber zurzeit planen wir einen Wolkenkratzer in London, für den ein bestehendes Gebäude umgebaut werden könnte. Unser erstes Ziel ist, den Kunden zu überzeugen, dass wir einen bestehenden Turm erhalten und nur die Fassade ändern können. Gleichzeitig entwerfen wir für denselben Standort auch einen kompletten Neubau, sodass wir beide Entwürfe miteinander vergleichen können. Das tun wir, damit beim Erhalt des vorhandenen Gebäudes keine Punkte übersehen werden.
Denken Sie, dass dieser Ansatz noch ausbaufähig ist? Wie könnte man die Effizienz beim Einsatz von Material, Ressourcen, Zeit und Geld sowie die Nachhaltigkeit im Bauwesen noch weiter steigern?
Ja, hier geht es vor allem um Flexibilität und die Planung des Rückbaus. Unser Ansatz ist, ein Gebäude als ein Bauwerk zu sehen, das aus einzelnen Schichten besteht. Jede dieser Schichten hat eine andere Lebensdauer – von der Fassade, die vielleicht 35 Jahre hält, bis zur Grundkonstruktion, die mehr als 100 Jahre bestehen kann. Damit wir die einzelnen Schichten wiederverwenden und das Gebäude möglichst einfach warten können, müssen diese gut zugänglich sein.
Daher werden wir Gebäude zunehmend in einer intelligenten modularen Bauweise erstellen, damit die Module ohne aufwändige Abbrucharbeiten wiederverwendet werden können.
Beton für einen Umbau abzubrechen, ist eine schmutzige und energieaufwändige Arbeit. Bei einem adaptiven – oder flexiblen – Gebäude muss man den Einsatz von Beton daher intelligent planen. In einem unserer Entwürfe haben wir beispielsweise einzelne Betonmodule mechanisch verschraubt. In etwa so wie beim Bauen mit Lego-Steinen. Wir hätten auch Holz verwenden können, aber wir wollten beweisen, dass sich flexible Gebäude auch mit Beton realisieren lassen und dass wir damit Zeit sparen. Man kann später, je nach Bedarf, neue Module hinzufügen oder vorhandene entfernen. Wer Flexibilität möchte, muss also nicht unbedingt mit Holz bauen.
Wie wird sich Ihrer Meinung nach die Bauindustrie verändern? Welche Rolle werden die Kreislaufwirtschaft und die Digitalisierung dabei spielen?
Wenn wir mit der Arbeit an einem bestehenden Gebäude beginnen, wissen wir in der Regel nicht, was uns erwartet. Die Daten, die wir dank neuer digitaler Technologien in unsere Pläne einfügen können, helfen uns, einen Überblick zu gewinnen. Je mehr Informationen wir über unsere Gebäude haben, desto leichter lassen sich diese warten, betreiben, neu verwenden und – im Laufe der Zeit – anpassen. In Zukunft wird uns ein digitaler Materialausweis helfen, noch intelligenter vorzugehen und noch leichter auf die relevanten Informationen zuzugreifen.
Kreislaufwirtschaft und Digitalisierung sind wichtig. Da aber so viele Akteure – Hersteller, Abbruchexperten und Berater – involviert sind, könnte es letztlich am wichtigsten sein, das richtige Team zusammenzustellen und dafür zu sorgen, dass alle Beteiligten mit an Bord sind. Wenn nur einer der Akteure nicht die gleichen Grundsätze teilt oder den Nutzen der Kreislaufwirtschaft nicht erkennt, kann das gesamte Projekt kippen.
Welche Vision hat Ihr Unternehmen?
Wir glauben, dass Architektur das Verhalten der Menschen beeinflusst. Diese Annahme bestimmt alle unsere Überlegungen, wie wir das Leben der Menschen, die in unseren Gebäuden wohnen, verbessern können.
Daher haben wir uns in den letzten zehn Jahren auch nicht zu sehr auf Markttrends fokussiert, sondern unsere eigene Vision weiterentwickelt. Als Architekturbüro, das Trends für die Bauindustrie setzt, wollen wir uns auch in Zukunft von Forschung und Wissenschaft leiten lassen.